Auch Angehörige sind vom Missbrauch Betroffene

Wie Angehörige von Missbrauchsopfern ihre eigene Hilflosigkeit überwinden und den Opfern zur Seite stehen können


Gemeinsam betroffen: Wie Angehörige von Missbrauchsopfern selbst zu Betroffenen werden

Viele Angehörige von Missbrauchsopfern fühlen sich hilflos und ohnmächtig, wenn ein Familienmitglied sexualisierte Gewalt erfahren hat, sei es der Partner oder die Partnerin, das eigene Kind oder Enkelkind, ein Elternteil oder ein Geschwisterkind.

Der Umgang mit den jahrelangen schwersten Folgen des Missbrauchs, unter denen die Opfer leiden, und das Erleben der eigenen Grenzen im „Mit-Tragen“ und „Mit-Ertragen“ macht auch Angehörige zu Betroffenen.

Sexualisierte Gewalt: Eine Familientragödie, die Generationen prägt

So hat sexualisierte Gewalt auch Jahrzehnte nach den Taten Auswirkungen auf die gesamte Familie und hinterlässt Spuren in den Generationen:

  • Sei es bei Eltern, die Schuldgefühle entwickeln, da sie „es“ nicht wahrgenommen, nicht verhindert und ihr Kind nicht geschützt haben;
  • bei Partnern, die kein erfülltes Familien- und/oder Sexualleben haben und den Folgen hilflos gegenüber stehen;
  • bei Kindern, die mit einem traumatisierten Elternteil aufwachsen und schlimmstenfalls das Trauma erben;
  • bei Geschwistern, denen der Bruder/die Schwester buchstäblich abhandengekommen ist;
  • bei Enkeln, bei denen die Rolle der Oma oder des Opas nicht gefüllt wird;
  • beim ganzen Familiensystem, in dem aus Scham, Sorge und Wut keine Sprache für das „Unaussprechliche“ gefunden werden kann, sodass es verstummt, da die Verbrechen sprachlos machen.

Umgang mit Missbrauch: Verantwortung, Trauer und Wut als Angehöriger

Und es bleiben die vielen Fragen, auf die ein jeder Mensch zurückgeworfen wird:

  • Was hätte ich tun können, was kann ich tun?
  • Wo habe ich versagt, wo versage ich immer noch?
  • Wie erkläre ich das Verhalten der Oma dem Enkel oder das des Bruders der eigenen Frau?
  • Habe ich angesichts des Leids das Recht als „nur“ Angehöriger, unendlich traurig und hilflos oder auch wütend zu sein?

Und das ewig schlechte Gewissen bleibt: sich nicht genug zu kümmern; nicht ständig mit dem Thema konfrontiert werden zu wollen; wütend zu sein, dass die „alten Geschichten“ und das Leid des anderen das eigene Leben so bestimmen.

Warum es essenziell ist, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen

Wenn Priester oder Ordensangehörige die Täter:innen waren, dann erweitert sich die Betroffenheit oft auf das eigene spirituelle (Er-)Leben, auf das eigene Gottesbild, die eigene religiöse Identität, sodass die eigene Basis, das Grundvertrauen in die Mitmenschen und Gott infrage gestellt ist oder ganz abhandenkommt.

Als Angehörige:r und damit Co-Betroffene:r eines Missbrauchsopfers ist es wichtig, selbst Unterstützung und Hilfe anzunehmen, für sich zu sorgen, sich Auszeiten zu nehmen und zu reden, wenn die eigene Kraft nicht mehr reicht oder die Seele überläuft.

Auch Angehörige von Missbrauchsopfern können durch die jahrelange Belastung an ihre psychischen Grenzen kommen und krank werden.

Proaktives Handeln statt Sprachlosigkeit: Die Angehörigen von Opfern haben in der Kirche ein Recht auf Hilfe und Therapie

Angehörige von Missbrauchsopfern haben zudem Schutzrechte und Recht auf Unterstützung seitens der katholischen Kirche, die bereits 2002 (und damit vor 20 Jahren!) in ihren Leitlinien festgeschrieben hat, dass „dem Opfer und seinen Angehörigen […] menschliche, therapeutische und pastorale Hilfen angeboten“ und „Maßnahmen zur Überwindung von Irritationen, Sprachlosigkeit und Trauer getroffen [werden]“. Nota bene: „anbieten“, nicht „auf Nachfrage ggf. gewähren“!

Die Kirche verpflichtet sich hier selbst zum proaktiven Handeln.

Die Leitlinien von 2010 greifen dies erneut auf:

Ihnen [den Opfern, Anm. d. A.] und ihren Angehörigen müssen bei der Aufarbeitung von Missbrauchserfahrungen Unterstützung und Begleitung angeboten werden“; „die Hilfsangebote orientieren sich an dem jeweiligen Einzelfall. Zu den Hilfsangeboten gehören seelsorgliche und therapeutische Hilfen“; „diese Möglichkeit besteht auch, wenn der Fall verjährt oder die beschuldigte Person verstorben ist“; „für die Entscheidung über die Gewährung von konkreten Hilfen ist der Diözesanbischof zuständig.“

Möchten Sie Ihr Schweigen brechen?

Wenn Sie das Bedürfnis haben, mit jemandem über Ihre Erfahrungen als Angehörige:r zu sprechen, nehmen Sie Kontakt zu uns auf!

Wir behandeln Ihre Geschichte vertraulich und geben keine Daten weiter, wenn Sie diese nicht ausdrücklich erlauben.

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