Zum Verständnis vorab:
Der Betroffenenrat Nord würdigt die umfassende und zum Teil gut erklärende Darstellung der Tätigkeiten in den Bereichen Prävention, Intervention und Aufarbeitung durch die Mitarbeitenden im Erzbistum Hamburg. Durch die Darstellungen zum Thema Schutzkonzept und zur vielfältigen Präventionsarbeitim Erzbistum wird deutlich, dass sich das Erzbistum für eine Sensibilisierung im Umgang mit Gewalt (sexualisierter, geistlicher und machtmissbrauchender) einsetzt - zuletzt durch neue Fortbildungsangebote im Bereich „geistlicher Missbrauch“.
Was den Umgang mit Betroffenen angeht, sieht der Betroffenenrat Nord jedoch nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus Kontakten mit Betroffenen aus dem Erzbistum und deren Berichte, große Defizite im Handeln der Verantwortlichen im Erzbistum Hamburg.
Der Betroffenenrat kritisiert sehr deutlich, dass der Tätigkeitsbericht der Stabsstelle Prävention und Intervention erstellt und veröffentlicht wurde, ohne den Betroffenenrat Nord mit seiner Expertise im Vorfeld hinzuzuziehen. Das Statut des Erzbistums Hamburg zur Arbeit des Betroffenenrats führt klar Beteiligungs-, Anhörungs- und Vorschlagsrechte auf.
Die Sichtweise des Erzbistums auf den Betroffenenrat Nord und seine Arbeitsweise wird im Tätigkeitsbericht auf der vorletzten Seite deutlich: "Der Betroffenenrat […] versteht sich vorrangig als Vertretung für die Anliegen, Anerkennung und Würdigung von Betroffenen und ihres Leids."
Zur Klärung: Der Betroffenenrat sieht so nicht sein Selbstverständnis, sondern bezieht sein Verständnis aus dem vom Erzbistum selbst verfassten Statut.
Neben der Kritik der (erneuten) Missachtung der Anhörungsrechte des Betroffenenrats im Vorfeld der Veröffentlichung üben wir aber in erster Linie und vorrangig Kritik an der Organisationsstruktur der Stabsstelle, wie sie im Organigramm dargestellt ist: Die Leitung der Stabsstelle Prävention und Intervention liegt in den Händen des Generalvikars des Erzbistums, d.h. der Vertreter des Erzbischofs, der als sein „alter ego“ für das ganze Erzbistum ausführende Gewalt in der allgemeinen und geistlichen Verwaltung besitzt, ist zugleich oberster Aufklärer in eigener Sache!
Kirche, die (auch) Täterorganisation ist, geht bei der Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt also nicht in die Distanz, sondern belässt Deutungshoheit und Kontrolle in der eigenen Bistumsspitze – genau dort, wo in den Bistümern vielfach verschwiegen und vertuscht wurde (wie es die mittlerweile vorliegenden Studien in etlichen Bistümern unisono belegen). Dies manifestiert sich zudem im „Ablauf einer Fallbearbeitung“ (Bericht, S. 14). Hier verbleibt die Plausibilitätsbeurteilung in den Händen der Bistumsleitung, die hier als Dienstherr, aber jeweils auch (im Falle beschuldigter Kleriker) in den Personen Erzbischof und Generalvikar als deren Mitbrüder agiert. Genau dies hat Bischof em. Bode als einen seiner Fehler herausgestellt - er habe statt als Dienstherr zuallererst und vor allem als Seelsorger und Mitbruder gehandelt.
Aufklärung und Aufarbeitung brauchen größtmögliche Unabhängigkeit – die Leitungsfunktion und die Plausibilitätsbewertung gehören nicht in die Hände der Dienstvorgesetzten mutmaßlicher Täter. Hier muss das Erzbistum dringend nachsteuern, um die Prozesse zielführend voranzubringen.
Andere Themen wie die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle, konkrete Verfahren in den Bereichen Betroffenenbegleitung (Lotsensystem o.ä.) und Täter- Monitoring bzw. Täterprävention („Nicht Täter werden“) fehlen gänzlich in dem Bericht oder sind nur unscharf und schlaglichtartig angerissen. Letztere Themenfelder werden zudem einmal dem Bereich Intervention und an anderer Stelle der Aufarbeitung zugeordnet – eine klare Zuständigkeit ist hier kaum ersichtlich.
Im Bereich der Aufarbeitung fehlt uns der Hinweis auf eine notwendige Studie für das Erzbistum insbesondere in den Ländern Schleswig-Holstein und Hamburg sowie im Hinblick auf Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im gesamten Diözesangebiet.
Im Hinblick auf den Jahresbericht 2024 sehen wir als Betroffenenrat insbesondere folgende Arbeitsbereiche, die von der Stabsstelle angefangen werden sollten und über die im nächsten Tätigkeitsbericht zu berichten sein wird:
- Täter-Monitoring und Controlling
- Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle
- Planung einer Studie für HH und SH sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
- Schaffung oder Stabilisierung der personellen Ressourcen im Bereich Prävention, Intervention und Aufarbeitung
- Schaffung einer Anlaufstelle und Strukturen für den Umgang mit Betroffenen geistlichen Missbrauchs und mit erwachsenen Betroffenen
- Konzeption und Umsetzung von Elementen einer nachhaltigen „Erinnerungskultur“ (Umgang mit Tätern und Tatorten, Gedenkveranstaltungen etc.)
- Veröffentlichung von Täternamen (siehe Bistum Aachen)
- Evaluation des Verfahrens zur Anerkennung des Leids und Umsetzung notwendiger Änderungen
Dies alles braucht gute Konzepte und sicherlich auch wieder Zeit – obwohl das Thema seit nunmehr 13 Jahren im Fokus des Erzbistums stehen müsste.
Es ist schon einiges auf den Weg gebracht, aber es sind aus unserer Sicht noch viele Themen unbenannt und unbearbeitet – daher gilt es nun den Weg konsequent weiter zu beschreiten, diese Themenfelder zu bearbeiten und dabei die Prinzipien Transparenz, Unabhängigkeit und Betroffenenbeteiligung Wirklichkeit werden zu lassen.
Ein Schritt in genau diese Richtung kann und muss als bald erfolgen: Für uns als Betroffenenrat Nord kann und darf es maximal nur eine kurze temporäre Zwischenlösung sein, dass ein Generalvikar, der in der Hierarchie der Täterorganisation ganz weit oben steht, die Stabsstelle Prävention und Intervention leitet.
Unabhängigkeit heißt auch, die Zügel an dieser Stelle aus der Hand zu geben!
Für Rückfragen steht Norbert Thewes aus unserem Sprecherteam zur Verfügung, der am 26.10.23 im oder vor dem Ansgar-Haus in Hamburg persönlich ansprechbar ist. Telefon: 0162 1589410