"Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter"

Betroffene brechen ihr Schweigen und schildern die Folgen, die sexualisierte Gewalttaten durch Kleriker und andere Bistumsangehörige hinterlassen haben.

Betroffene brechen ihr Schweigen

In den Audio-Aufnahmen sprechen Betroffene selbst oder durch Stellvertreter:innen. Es handelt sich um exemplarische Äußerungen.

Trigger-Warnung

In den Hörbeiträgen geht es um Auswirkungen sexualisierter Gewalt, was bei einigen Menschen negative Erinnerungen und unangenehme Gefühle auslösen kann.

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Tochter einer Betroffenen über das große Schweigen.

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Ein Betroffener über die lebenslange Verunsicherung.

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Der Blick in das Herz der Finsternis.

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Ein Betroffener über den Vertrauensmissbrauch.

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Ein Betroffener über seine geraubte Kindheit.

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Gebet der Missbrauchten und Geschundenen.

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Ein Betroffener über sein Verhältnis zu Männern.

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Ein Betroffener über den Mut, den Täter anzuzeigen.

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Ehepartnerin eines Betroffenen über Geduld.

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Der lange, schwere Weg des sich Erinnerns.

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Erinnerungen einer Angehörigen an den Täter.

Möchten Sie Ihr Schweigen brechen?

Wenn Sie als Betroffene:r oder Angehörige:r von Auswirkungen sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich auf Ihr Leben in einem kurzen Hörbeitrag berichten möchten, so nehmen Sie Kontakt mit uns auf!

Ihr Text kann von uns auf Wunsch durch eine:n Stellvertreter:in eingesprochen werden. Ihr Name wird nicht veröffentlicht; Ihre Daten vertraulich behandelt.

Interview mit einer Angehörigen

Ich wohne im Bistum Hildesheim und übernehme in meiner eigenen Pfarrgemeinde aktiv Verantwortung, stamme jedoch aus einem anderen Bistum, wo sich auch der Missbrauch durch mehrere katholische Geistliche an einem Menschen aus meinem direkten, persönlichen Umfeld ereignete – ein so gravierender Missbrauch, dass er auch noch heute, Jahrzehnte nach den Taten, Auswirkungen auf die gesamte Familie hat. Und deshalb schreibe ich Ihnen.

Was kann sexualisierte Gewalt durch Geistliche auch nach Jahrzehnten für konkrete Folgen haben?

Für das Opfer:

Das Opfer der Gewalt, heute eine alte Frau, damals ein kleines, knapp neunjähriges Mädchen, muss sich auch dieses Jahr im Advent in stationäre Behandlung begeben, um diese Tage buchstäblich zu überleben. Sie kann derzeit keine Nachrichten-Sendungen ansehen, da die Berichterstattung über die Studie der Bischofskonferenz persönlich unerträglich ist und schlimmste Erinnerungen hervorruft. Sie erträgt weder Orgelmusik oder den Anblick eines schwarz gekleideten Mannes mit weißem Priester-Kragen, noch kann sie Kirchen betreten. Auch die Video-Botschaft unseres Bischofs, so wichtig die Anerkennung der Schuld ihr auch ist, kann ich ihr schon aufgrund der Kleidung nicht zeigen. Zu all dem kommen die „üblichen“ Missbrauchsfolgen wie Depressionen, Angstzustände, Suizidgefährdung, Problemen bei Arztbesuchen mit intimen, körperlichen Untersuchungen etc.

Für die Familien:

Wie erklärt man einem Kind, warum die Oma nicht zur Erstkommunion mit in die Kirche kommt, obwohl sich das Kind doch so darauf freut? Warum sie auf den Fotos der eigenen Taufe nicht zu sehen ist? …und warum es keine Weihnachtslieder singen darf, wenn Oma dabei ist, und sie nicht mit ihm zum Weihnachtsmarkt geht? Ja, wie erklärt man das… Auch heute noch wird in meiner Familie viel geschwiegen und auch verschwiegen – weil es nicht anders geht. Und das ewig schlechte Gewissen, sich nicht genug zu kümmern, nicht ständig mit dem Thema konfrontiert werden zu wollen, ist immer da. Auch wenn nicht darüber geredet wird, ist der Missbrauch immer präsent – macht sprachlos, hilflos und unendlich traurig. Ich bin erwachsen und stehe durchaus mitten im Leben, aber auch mir kommen immer noch die Tränen, wenn ich an dieses kleine Mädchen denke, wenn es mir heute fast 80jährig gegenüber sitzt; Tränen, wenn ein Priester im Gewand über Missbrauch spricht.

Warum haben die Opfer und die Familien so lange geschwiegen?

In diesem Fall:

Weil das Opfer lange Jahre selbst nichts von der Gewalt gewusst hat. Die Seele ist da sehr gnädig und rettet sich selbst, wenn das Leid zu übermächtig wird – psychologisch korrekt: sie dissoziiert und spaltet das Erlebte aus dem direkten Bewusstsein und dem Erinnern ab. So lag auch dieses Verbrechen über 50 Jahre im Unbewussten bis es Stück für Stück und über Jahre hinweg wieder freigegeben wurde – zunächst nur als vages, ungutes Gefühl, dass „da irgendwas ist“, bis hin zum bewussten Erinnern an das, was ihr alles angetan wurde – an jedes Detail, an jedes Gefühl. Und sie hat den Mut gefunden, nicht zu schweigen: Schon vor Jahren hat das zuständige Bistum diesen Missbrauch anerkannt, nach langen Gesprächen mit Laienvertretern, psychiatrischen Gutachten und Berichten – einen davon habe ich gelesen und hoffe, nie einen weiteren lesen zu müssen, so grausam und mitleidlos waren diese Taten. Ja, da haben Männer Gottes das Böse in die Welt gebracht!


Der Rest meiner Herkunftsfamilie ist längst aus der katholischen Kirche ausgetreten… Ja, es wurde auch Geld in Anerkennung des Leids in nicht unerheblicher Höhe gezahlt, aber wirklich wichtig war und ist die Anerkennung des Leids durch die Kirche. Gespräche mit Priestern oder Bischöfen, wie sie die Bischofskonferenz nun im 7-Punkte-Plan vorsieht – ja, von der Idee her sicherlich richtig, aber nein, wie soll ein solches Opfer diese Begegnung durchstehen? Wie sie positiv und heilend wenden? Wie im Gegenüber einen Helfer zu seiner Freude sehen?

Wie kann man mit diesem Wissen noch in dieser katholischen Kirche aktiv sein?

Ich bin nicht trotz, sondern gerade auch deshalb aktiv in meiner Gemeinde tätig: Weil für die Änderung der Strukturen, die sexualisierte Gewalt begünstigen, engagierte Laien, Frauen wie Männer, gebraucht werden. Weil sich der Klerikalismus nicht aufbrechen lässt, wenn die Gemeinde vor Ort nicht aktiv und auch mal unbequem ist, kritische Fragen stellt und auch einen Priester in Frage stellt.

Und weil ich mir das, was mir persönlich wichtig ist, meinen Glauben, ein Teil meiner Identität, nicht von diesen Verbrechern im Priestergewand, die unbehelligt und vermutlich hochgeehrt sterben durften, nehmen lasse. Und vor allem, weil die Opfer von damals auch heute noch Opfer sind und sich diese Kirche, in der sie zum Opfer wurden, wandeln muss – vielleicht erleben sie ein Stück davon ja noch.

Es Hätten Auch WIR Sein Können!

Eine Initiative der Ministrant:innen Wolfenbüttel

Auch sie setzen sich für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche ein und leisten damit einen großen Beitrag. Viele Informationen und den gesamten Weg des Protestes der Messdiener:innen von Wolfenbüttel finden Sie auf www.es-haetten-wir-sein-können.de

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