Stellungnahme zur Pressekonferenz des Bistums Osnabrück am 09.10.2024

Stellungnahme veröffentlicht am 10. Oktober 2024

Der Betroffenenrat Nord äußert sich zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts „Betroffene – Beschuldigte – Kirchenleitung: Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen durch Kleriker im Bistum Osnabrück seit 1945“ der Universität Osnabrück, welche am 2. Oktober 2024 von den Forschenden präsentiert wurden.

„Es gibt keinen Platz für Missbrauch, es gibt keinen Platz für das Vertuschen von Missbrauch
[…] Das Böse darf nicht versteckt werden: Das Böse muss ans Licht gebracht werden, damit
es bekannt wird. […] Und der Täter soll gerichtet werden.“

Es gibt wohl kaum passendere Worte als diese von Papst Franziskus, um über eine Studie zurAufarbeitung von sexualisierter Gewalt zu sprechen.

Ja, das Böse muss ans Licht gebracht werden – und das hat das Forschungsteam der Universität Osnabrück mit seiner Studie getan. Das haben die vielen Betroffenen, die über die an ihnen begangenen Verbrechen berichtet haben, getan. Das haben vor allem auch die drei Betroffenen getan, die als Co-Forschende bei der Studie mitgewirkt haben.

Ich erlaube mir an dieser Stelle für viele Betroffene zu sprechen und sage: „Danke“. Danke für diesen Meilenstein im Zwischenbericht, die Verbrechen und vor allem die Pflichtverletzungen der Bistumsleitung klar zu benennen. Und nun mit dem Abschlussbericht auch die systemischen Strukturen und vor allem die Narrative in den Blick zu nehmen.

Ja, das Böse muss ans Licht gebracht werden, damit es bekannt wird. Genau das tut diese Studie.

Und glauben Sie uns, dieser Abschlussbericht, dieses ans Licht gebrachte Böse, macht uns, die Betroffenen sexualisierter Gewalt, fassungslos. Über 400 Kindern und Jugendlichen wurde im Bistum Osnabrück bzw. auf dem Gebiet des heutigen Erzbistums Hamburg durch Priester, Ordensleute und Mitarbeitende der katholischen Kirche unsägliches Leid zugefügt. So das Studienergebnis. Und das Dunkelfeld kann bis zu zehnmal höher sein, so die Studie.

4.000-faches Leid! 400- bzw. 4.000-faches Leid, das nicht nur die primär Betroffenen, sondern auch die Systeme, in denen Betroffenen leben – Familien, Ehepartner, Kinder Eltern, Freunde – erleiden mussten und das auch die Gläubigen und Pfarrangehörige in den Pfarrgemeinden stark mitbeeinträchtigt hat. Und dieses Leid wirkt sich für viele bis in die heutige Zeit aus. Das erleben gerade wir als Betroffene jeden Tag erneut hautnah.

Das Böse muss ans Licht gebracht werden – die wichtige Perspektive von Betroffenen sexualisierter Gewalt muss ans Licht gebracht werden. Und das haben besonderes die drei Betroffenen in der Begleitgruppe in den grau unterlegten Kommentaren im Abschlussberichtgetan – dafür danken wir noch einmal ganz ausdrücklich. In der Studie zeigt sich mit dem Hellfeld nur die Spitze des Eisbergs. Es muss nun eine Grundlage zur weiteren Aufarbeitung sein und ich hoffe vorsichtig, dass diese vom Bistumnun ernsthaft, zügig, vollumfänglich und in echter Sorge um uns Betroffene angegangen wird. Die Studie erläutert exemplarisch, wie Opfern nicht geglaubt oder strafrelevante Verhaltensweisen von Priestern durch die Bistumsleitungen jahrzehntelang negiert wurden. Das System wurde geschützt und erhalten. So viel Leid hätte verhindert werden können! Durch konsequentes Handeln, aber es wurde weggesehen, versetzt, vertuscht. Ans Lichtgebracht wurde das Böse nur selten. Es waren Kinder und Jugendliche, die zu einem Vorbild, zu einem Mann Gottes, einem Vermittler des Glaubens, hochgeschaut haben. Und deren Körper und Seele benutzt und missbraucht wurden. Täter sind charismatische Menschen, das zeigt uns die Studie. Sie bewegen Vieles, durchaus auch Gutes. Und oft wurden (und werden noch heute) die guten Taten dieser charismatischen Täter als Gegengewicht zu den „lapidaren“ Übergriffen gegenüber Schutzbefohlenen aufgerechnet: „Aber er tut doch auch so viel Gutes!“

Doch sagen Sie uns: Wie viele gute Taten wiegen eine zerstörte Kinderseele auf?
Wie ist der Umrechnungskurs – 10 zu 1?

Und auch heute erleben wir immer noch eine Kirche, die sich zu zaghaft mit den Verbrechender letzten Jahre und Jahrzehnte befasst. Ich selbst habe vor gar nicht langer Zeit erleben müssen, dass ich durch hochrangige Vertreter des Bistums gefragt wurde, ob ich damit einverstanden sei, dass mein Täter, derseit der Anzeige durch mich von allen Ämtern entpflichtet wurde, wieder tätig sein kann. Die Begründung: Er langweilt sich doch jetzt und in der Gemeinde herrscht personeller Notstand. Er langweilt sich! Dieses kleine Beispiel ist, und das wird uns aus Schilderungen von weiteren Betroffenen aus dem Bistum Osnabrück deutlich, leider kein Einzelfall. Es stößt immer wieder auf, lähmt undschockiert uns Betroffene, wenn wir erleben müssen, wie unsensibel mit traumatisierten Menschen umgegangen wurde und noch zum Teil immer noch wird.

Mein Eindruck ist bis zum heutigen Tag, dass die Täter und die Institution oft weiterhin geschützt werden. Das Wohlergehen der Täter und ihres Umfelds scheinen mitunter immernoch wichtiger zu sein als das Wohlergehen der Betroffenen und das ihrer Familien.

Wir Betroffene kommen so nicht zur Ruhe – wir dürfen anscheinend immer noch nicht zur Ruhe kommen. Aber, auch das sei gesagt: Wir lassen Ihnen auch keine Ruhe, bis alles Böse ans Licht gebracht wurde und die Täter gerichtet wurden.

Aber: Ist Kirche als Verursacher und Täterorganisation überhaupt in der Lage, umfassendund gerecht aufzuarbeiten?

Uns als Betroffenenrat Nord wurde diese Frage erneut gestellt, als die Universität Osnabrück im Herbst vor zwei Jahren ihren Zwischenbericht veröffentlichte.

Wir sehen, dass im Bistum Osnabrück die Notwendigkeit für Intervention und Prävention erkannt wurde. Die Einrichtung des diözesanen Schutzprozesses mit der Monitoringgruppe an ihrer Spitze spricht deutlich dafür. Auch die Stelle der Unabhängigen Beauftragten für den Schutzprozess und die Ombudsstelle, die so gut von Frau Röser bzw. Herrn Kampe ausgefüllt werden, sind durchaus Meilensteine.

Und doch hatte der ehemalige Bischof dieses Bistums bis zum Ende seiner Amtszeit 2023 den Schutz seiner Mitbrüder im priesterlichen Amt oft mehr im Blick als den Schutz und das Wohl von Betroffenen. Darum hat der Betroffenenrat im November 2022 eine entsprechende kirchenrechtliche Anzeige gestellt, die dazu beitrug, dass er im März 2023 zurücktrat.
Ein wichtiger und deutlicher Schritt in die richtige Richtung.

Nun ist Bischof Dominicus neuer Bischof des Bistums Osnabrück. Und wir wollen es nicht nur erhoffen, sondern werden es erwarten dürfen, dass er sich deutlich auf der Seite der Betroffenen positioniert und Aufarbeitung weiter voranbringt.

Analysieren Sie in Ihren Gremien die Ergebnisse der Studie gründlich! Leider haben die Wissenschaftler der Studie darauf verzichtet, einen Empfehlungskatalog zu erstellen, obwohl gerade das Ampelsystem im Zwischenbericht so wegweisend war.

Wir haben in einem ersten Gespräch mit Ihnen bereits angeregt, dass sich eine Empfehlungsgruppe unter unserer Beteiligung bildet. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen und konkret verabreden, was aus den Studienergebnissen nun folgen muss.

Auch die weiteren Punkte, die wir in unser erstes Gespräch eingebracht haben, möchten wirberücksichtigt wissen:

  • Informieren Sie die Gemeinden und Institutionen über Täter in ihrer je eigenen Historie – betroffenensensibel und mit Augenmaß.
  • Nehmen Sie die Themen „Schutzkonzepte“, „Umgang mit Vorwürfen“ und „Aufarbeitung“ mit in den Themenkatalog Ihrer Visitationen auf.
  • Setzen Sie eine Arbeitsgruppe zur Erinnerungskultur – verstanden als Vergegenwärtigungskultur – in Ihrem Bistum ein.
  • Gehen Sie proaktiv, aber traumasensibel auf Betroffene zu.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die nun erhobenen Betroffenenberichte der Nachwelt erhalten bleiben.
  • Setzen Sie sich für ein ausreichendes System für Zahlungen in Anerkennung des Leids bei der Deutschen Bischofskonferenz ein.
  • Und kommen Sie mit den Verantwortlichen im Erzbistum Hamburg ins Gespräch!

Denn: Viele der Betroffenen sind Betroffene auf dem jetzigen Gebiet des Erzbistums Hamburg. Dort aber geht Aufarbeitung seit dem Zwischenbericht und der sog.„Mecklenburg-Studie“ eher zurück als voran. Das merken wir auch als Betroffenenrat Nord – eine wertschätzende Zusammenarbeit, die wir im Bistum Osnabrück und auch in Hildesheim durchaus erleben, gibt es mit dem Erzbistum Hamburg nicht. Auch aus der Unabhängigen Aufarbeitungskommission Nord hören wir ähnliches.

Und wenn wir jetzt in der vorgelegten Studie lesen müssen, dass im Erzbistum Hamburg Tatverdächtige, bei denen Anerkennungsleistungen an Betroffene geflossen sind – d.h. das Erzbistum selbst hält die Vorwürfe für plausibel – im Amt bleiben, wenn keine eindeutigen Beweise und kein Geständnis vorliegen, so macht uns das fassungslos! Fassungslos im Jahr 2024. Was bedeutet das Papstwort hier? Nichts?

Wir gehen davon aus, dass Sie die Studienergebnisse im Nachgang auch an die zuständigen römischen Dikasterien schicken, um insbesondere auch den aufgezeigten Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum Hamburg kirchenrechtlich prüfen zu lassen.

Auch eine Prüfung an moralischen Maßstäben und den Maßstäben des Evangeliums legen wir Ihnen, den Verantwortlichen, ans Herz.

Denn hier geht es um Haltung, um Ihre Haltung als Verantwortliche in den Bistümern Osnabrück und Hamburg. Und es geht um Würde, um unsere Würde als Betroffene.

Wir als Betroffenenrat Nord sind ansprechbar, unsere Expertise einzubringen und mit Ihnen auf Augenhöhe auszuloten, wie Aufarbeitung hier im Bistum Osnabrück weitergehen kann. Die bisherigen Gespräche machen uns Mut.

Nun ist es Aufgabe und Verantwortung der Bistumsleitung, allen voran die von Bischof Dominicus, die richtigen Konsequenzen zu ziehen – schieben Sie diese Verantwortung nicht weg, denn:

„Das Böse muss ans Licht gebracht werden, damit es bekannt wird. […] Und der Täter soll gerichtet werden.

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Ilona Düing – Sprecherteam des Betroffenenrat Nord für das Bistum Osnabrück

Pressekonferenz vom 9.10.2024 ansehen:
www.bistum-osnabrueck.de/pressekonferenz-bistum-osnabruck

Stellungnahme von Generalvikar Ulrich Beckwermert lesen: www.bistum-osnabrueck.de

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